„Wer nicht wagt, trinkt später keinen Champagner“
 

…so das alte russische Sprichwort. Tatjana Müller kam mit 15 Jahren von Russland nach Deutschland. Seit ihrem BWL-Bachelor-Abschluss an der DHBW Ravensburg schlägt ihr Herz für den internationalen Vertrieb. Um ihre Erfahrungen zu teilen, hielt sie nun auch kürzlich Vorlesungen an ihrer „alten“ Hochschule im Fach International Marketing.

„Als der Flieger im Januar 2003 in Deutschland landete, ging es los mit dem Kulturschock. Nizhny Novgorod – die fünftgrößte Stadt Russlands und meine Heimatstadt – ließ ich hinter mir und war unterwegs nach Mengen, einer Gemeinde mit knapp 8.000 Einwohnern. Da ich zwar gut Englisch, aber kein Deutsch sprach, durfte ich zunächst als Gastschülerin auf das Gymnasium in die 9B – Sprache lernen, sich trauen Menschen anzusprechen. Durch die Theater AG, das Gitarrenspiel in einem peruanischen Ensemble und die zahlreichen Nebenjobs ließen sich das erste Netzwerk und ein Freundeskreis aufbauen.

Wie so viele Mädchen wollte ich nach der Schule unbedingt in die Modebranche. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass es doch das Vernünftigere war, bei einem konservativen Industrieunternehmen den Vertrag zu unterschreiben. Drei Jahre duales Studium an der DHBW mit der Partnerfirma GEBERIT gewährte mir gute Einblicke in das spätere Berufsleben: Selbstdisziplin, erster Kundenkontakt, Dos and Don´ts im Geschäftsumfeld.

Dem Schwabenland bin ich bis heute treu geblieben – aktuell habe ich mein Vertriebsbüro in Esslingen bei Stuttgart. Vom Bodensee über Allgäu und Ulm nach Stuttgart – fast wie im Lied ,Auf der Schwäb'schen Eisenbahne´ – eine schöne Reise mit Leuten, die alles andere als konservativ und verschlossen sind. Eine besonders schöne und spannende Zwischenstation hatte ich als Sales Manager Russia bei der Firma WALDNER in Wangen im Allgäu. Laboreinrichtungen in St. Petersburg und Wladiwostok zu verkaufen, mit lokalen Distributoren zu arbeiten und in Moskau eine Tochtergesellschaft zu gründen: ein spannendes, vielversprechendes Unterfangen voller Überraschungen und Herausforderungen. Hier habe ich mit Erstaunen festgestellt, wie sehr die zehn Jahre des Lebens in Deutschland mein Denken und Handeln geprägt haben.

Heute spreche ich mit Kunden aus der Automobilbranche und sorge dafür, dass ihre Lieferkette transparent bleibt. Sich als ,reine´ Wirtschaftswissenschaftlerin mit Ingenieuren auf einer Ebene zu unterhalten kostet viel Mut, Vorbereitung und auch Improvisationstalent. Aber wer nicht wagt… Die Belohnung dafür ist der einzigartige Einblick in die Fertigungshallen der Boschs, Daimlers und VWs dieser Welt. Und das wertvolle Netzwerk – Menschen, die meinen Horizont erweitern.

Ein guter Geschäftspartner hat mal gesagt: ,Mit dem Alter sollte man langsam Wichtiges vom Unwichtigen unterscheiden können.´ Daran sollte jeder arbeiten, denn viele Sachen, die uns heute entscheidend erscheinen, sind es in einem Jahr nicht mehr. Was mich im Leben weiterbringt ist das weltweite Netzwerk und das 20/80-Prinzip – Fokussierung anstatt Verschwendung. Auch zu meinen Studenten sage ich immer wieder: ,Geht feiern und genießt die Studienzeit. Und wenn ihr es schafft, euch im entscheidenden Moment auf das Wichtigste zu fokussieren, dann klappt alles´.“